Jugendjahre gleich nach dem Krieg, aufgewachsen mit sieben Geschwistern in
einem kleinen Dorf. Das karge Leben dieser Zeit wird hier beschrieben, ohne das
übliche Gejammere: "Ach Gott, ging es mir schlecht". Im Gegenteil, der Autor
schildert hier die Freuden einer Jugend in einer kinderreichen Familie.
Leseprobe
Der alte Holzstuhl
Eigenartigerweise kann ich mich an meine eigene Geburt überhaupt nicht mehr
erinnern. Erzählt wird, es sei wenige Tage nach dem Ende des Krieges, im Mai
1945, geschehen. Im Dorf meiner Jugend, in dem alten, inzwischen heute, über
sechzig Jahre danach, schon etwas krumm gewordenen, Fachwerkhaus in der
Bahnhofstrasse, da soll es passiert sein. Onkel Wilhelm, Tante Marie und ihre
beiden Kinder, auch Tante Kätt und ihre beiden Söhne, der Onkel ist im Krieg
gefallen, leben noch in diesem Haus. Onkel Wilhelms Zigarren kurbelt er selber
aus den Blättern der Tabakpflanzen, die er hinter dem Haus, in dem sumpfigen
Gelände wachsen lässt.
Unsere Wohnung, das ist das Wohnzimmer von Tante Kätt. Sie lebt halt in den
anderen Räumen ihrer Wohnung. In diesem kleinen Wohnzimmer, da wohnen Mutter,
meine zwei älteren Brüder, Hans und Günther und jetzt auch ich. Das Essen wird
in Tante Kätt’s Küche gekocht, geschlafen und gewohnt, eben gelebt, wird in
ihrem ehemaligen Wohnzimmer. Ein Sessel, aus Holz gebaut, ohne Polster, mit nur
noch einer Lehne, die rechte fehlt ihm, das ist meine älteste Erinnerung an
diesen Raum. In der Ecke stehen ein paar Betten, eigentlich sind es nur
Holzkästen, mit Strohsäcken gut gepolstert und schön warm. Eine feudale Wohnung,
eine gute Wohnung, unsere Wohnung.
Einen Vater haben wir nicht, wir drei, der ist noch fort, irgendwo im Krieg,
obwohl der doch schon vorbei ist. Verstehen tue ich das ja überhaupt noch nicht.
Sowenig ich mich an meine Geburt erinnern kann, so unvergesslich ist mir der
kaputte Sessel, die einzige Sitzgelegenheit in unserer Wohnung, damals nach dem
Krieg. Herumturnen auf dem Sessel ist mein Hauptvergnügen. Damit der hässliche
Sessel nicht ganz auseinander fällt, hat Onkel Wilhelm ihn mit ein paar Nägeln,
Gott weiß, wo er die aufgetrieben hat, vernagelt. Viel Halt gibt das dem
morschen Holz zwar nicht, aber mich hält der Sessel jetzt aus. Dicke Köpfe haben
die Nägel, richtige Plattköpfe sind das. Und der eine Kopf steht ein Stückchen
hoch, sein Pech.
Mein Fuß steht darauf, der Nagelkopf dringt ein, und schon hat der Nagel
verspielt. Im Fuß hängt der Nagel, wie ein Widerhaken hält der Kopf im Fuß fest.
Aua, das tut weh, und schon fehlt dem Sessel ein Nagel, der Nagel. In meinem Fuß
hat der Nagel wenig Nutzen, dem Sessel fehlt er wirklich. Mit meinem kleinen Fuß
habe ich den Nagel aus dem Holz gezogen. Weh hat’s getan, der erste richtige
Schmerz meines Lebens.
Der Stuhl fällt ohne diesen, ach so wichtigen, Nagel einfach in sich zusammen,
jeglicher Halt ist weg. Da ist nichts mehr zu retten, auch Onkel Wilhelm kann
ihm nicht mehr helfen, dem Stuhl. Jetzt hat er doch endlich ausgedient, der
alte, einarmige Sessel. Schade ist nur, das wir jetzt gar keine Sitzgelegenheit
mehr haben in unserer, ach so großen, Wohnung. Die wenigen Besucher kriegen
dafür einen erstklassigen Stehplatz angeboten.